Politische Kommunikation im Wandel

Startseite » Programm » Abstract Pfurtscheller

Abstract Pfurtscheller

Daniel Pfurtscheller (Innsbruck)

Ein Taferl übers ,Taferl‘. Österreichische Politiker und ihre kommunikativen Hilfsmittel in Fernsehkonfrontationen

„Sieben Minuten und das erste Taferl“ – mit diesen Worten kommentiert die ORF-Moderatorin der TV-Konfrontationen zur Nationalratswahl 2013, Ingrid Thurnher, gleich zu Beginn der ersten Sendung den Einsatz einer ‚Präsentationshilfe‘: Die Grünen-Parteichefin Eva Glawischnig stellte mit den Worten „Ich habe Ihnen auch etwas mitgebracht. Sie sehen hier Ihre Freunde“ eine Art Fotokalender auf den Tisch und konfrontiert ihr Gegenüber Heinz Christian Strache von der FPÖ mit einer Serie von, wie sie sagt, „rechtskräftig Verurteilten“ aus seiner Partei (s. Abb. 1).

Das war nur der Auftakt. In den folgenden vierzehn TV-Duellen kommt es zu weiteren Szenen, bei denen die Diskutierenden im Studio sich gegenseitig Schilder mit Diagrammen und Bilder, Zettel mit ausgedruckten Zeitungsartikeln, Büchern und sogar Geldscheine vor die Augen (und der Kamera vor die Linse) halten. Vor allem die Vertreter der Oppositionsparteien nutzten ihre Chance sich live im Fernsehen zu profilieren. Die Grünen-Chefin hatte gar bei jeder Fernsehkonfrontation eine Überraschung in ihren Unterlagen parat, was dem ORF-Journalisten Armin Wolf im Nachrichtenmagazin „Profil“ das Kommentar entlockte: „Glawischnig geht ohne Taferl nicht mehr aus dem Haus, jedenfalls nicht in ein Fernsehstudio“ (Wolf 2013).

Im Kontext des opposition resarch und des negative campaignings kann man ,Taferln‘ als kommunikative Hilfsmittel auch als Symptom einer geänderten politischen Kultur sehen. Recherchen über politische Mitbewerber sind die Grundlage, auf der die Erstellung der Unterlagen und die spätere mediale Inszenierung in der Live-Diskussion aufbaut. Üblicherweise werden ,Taferln‘ als Mittel der Beschuldigung und des Angriffs in Situationen ‚hervorgezaubert‘, in denen der Angegriffene spontan kontern muss. Dabei ist der Einsatz nicht ganz ungefährlich. Von vermeintlichen Fehlern auf den Schildern selbst einmal abgesehen, soll die Verwendung gut geplant und vorbereitet sein, was dann möglicherweise auch einstudiert und gekünstelt wirken kann. Die ORF-Redakteurin Julia Ortner meint in ihrem Blog-Kommentar dazu: „Und auch wenn Glawischnig beim Zücken des ersten Taferls bei den ORF-Konfrontationen gestern ein bisschen wie eine Musterschülerin ausgesehen hat, die was auswendig Gelerntes runtersagt – die Grünen sind jetzt auch so richtig im Populismus angelangt.“ (Ortner 2013)

Das ‚Taferl’ ist – darauf weißt schon das Diminutivaffix hin – eine österreichische Besonderheit, die in der Außensicht mitunter als „Kuriosität“ (Baumann 2013) erscheint. Anderswo wird diese Form medialer Inszenierung durch Regeln verboten. In Deutschland ist zum Beispiel ausdrücklich festgelegt worden, dass beim Kanzlerduell zwischen Merkel und Steinbrück nur Notizblock und Stift mitgenommen werden darf und keine sonstigen Utensilien: „Den Duellanten wird jeweils dieselbe Frage gestellt, sie dürfen keine Tabellen oder Fotos zeigen“ (Höll/Rossmann 2013). Das Regelwerk der deutschen TV-Duelle, das als „kollaboratives Arrangement zwischen Politik und Journalismus“ (Bucher 2007, 19) gesehen werden kann, untersagt nicht nur solche Formen der Inszenierung, sondern gibt auch den Rahmen der kommunikativen Möglichkeiten vor. Die strengen Regeln wurden in Deutschland häufig kritisiert, so auch dieses Jahr: „Und warum müssen die Regeln für den Schlagabtausch eigentlich so zwanghaft sein, warum soll es im TV-Duell eigentlich nicht möglich sein, Merkel und Steinbrück nacheinander und einzeln ins Kreuzverhör zu nehmen?“ (Seils 2013)

Die Geschichte des ,Taferls‘ als Mittel politischer Kommunikation in Österreich

In Österreich gibt es hingegen eine andere Tradition. Bei Fernsehdiskussionen war und ist es üblich, dass die Kontrahenten ihre Tische mit dicken Stapeln von Akten und Unterlagen belagern. Als in Österreich im Jahr 1975 erstmals vor einer Wahl eine Diskussion der Spitzenkandidaten ausgestrahlt wurde, traten sich SPÖ-Kanzler Bruno Kreisky und ÖVP-Chef Josef Taus gegenüber. Und bereits hier war mediale Unterstützung im Spiel: Als Herausforderer Taus die sozialdemokratische Wirtschaftspolitik kritisierte, holt Kreisky eine Broschüre der Girozentrale hervor und zitierte eine Passage, in der Österreich als Wirtschaftsstandort in den höchsten Tönen gepriesen wird (s. Abb. 2). Als ehemaliger Generaldirektor der Bank hatte Gaus den Text zu verantworten. Die Wahl ging an Kreisky.

Während Kreisky 1975 noch vorgelesen hat, hat Jörg Haider 1994 – in diesem Jahr wurden die TV-Duelle zum ersten Mal im Format „jeder gegen jeden“ ausgetragen – schon alles auf das Zeigen gesetzt. In einer Diskussion gegen SPÖ-Kanzler Franz Vranitzky hielt ihm der FPÖ-Chef mit den Worten „Jetzt zeig ich Ihnen etwas“ eine kleine Tafel mit den Pensionsbezügen des steirischen Arbeiterkammer-Präsidenten Alois Rechberger entgegen (s. Abb 3). Es kam anschließend zu einer Privilegiendebatte, die SPÖ musste Verluste einstecken. Haider hat das ‚Taferl’ als politisches Instrument aber nicht erfunden, wie häufig behauptet wird. Internationale Vorbilder kann man im US-Präsidentschaftswahlkampf von 1992 finden, wo der parteilose Kandidat Ross Perots in seiner innovativen Kampagne 30-minütige TV-Werbespots in der Form von Kurzvorträgen sendete, in denen er mit einer Reihe von Schildern – „with a set of cardboard graphics“ (Kolbert 1992) – auf Sendung ging (s. <http://youtu.be/mPIVI0CbCmg> für ein Bsp.).

Dass das ,Taferl‘ in Österreich in späteren TV-Duellen etwas aus der Mode kam, lag auch daran, dass der Einsatz von den Gesprächspartnern geschickt ironisiert wurde. Bei der Neuwahl 1995 – es gab nun wieder eine reduzierte Anzahl von TV-Duellen – griff Haider im TV-Duell mit SPÖ-Chef Viktor Klima wieder zu einem ‚Taferl’. Klima konterte mit den Worten „Mach ma‘ wieder an Ausflug nach Maria Taferl?“. Auch bei den TV-Duellen 1999 hatte der FPÖ-Chef ein Taferl dabei. Als Haider jedoch seine Präsentationshilfe entglitt, spöttelte sein späterer Partner Schüssel: „Jetzt ist ihnen das Taferl umgefallen“.

Handlungsmuster und Kommunikationsprinzipien – das ,Taferl‘ als multimodaler Spielball 

Im Spannungsfeld der konträren Handlungslogiken von Journalismus und Politik (Bucher 2007), beeinflusst die Möglichkeit der ,Taferl-Kommunikation‘ mit ihren multimodalen Textelementen die  „Dialogdynamik“ (Bucher 2007, 20) der TV-Duelle auf entscheidende Weise mit, da Antworten und Entgegnungen im Dialogverlauf nicht nur rein mündlicher Natur sein können, sondern die Redebeiträge der Politiker von anderen Kommunikationsmitteln wie Schrift, Bild und Design begleitet werden können. Insbesondere die dabei zentralen „Bildhandlungsmuster“ (Klemm 2011), die im Kontext von Fernsehdiskussionen bislang nicht untersucht wurden, möchte das vorgeschlagene Poster anhand der 15 TV-Duelle im ORF herausarbeiten und vor dem skizzierten historischen Hintergrund präsentieren.

Dabei zeigt sich, dass die kommunikativen Hilfsmittel den politischen Kommunikationsprinzipen der Kontrollierbarkeit und der Wirksamkeit entgegen kommen und gut in politische Handlungsmuster eingepasst werden können: mit ,Taferln‘ kann man kann Zahlen und Statistiken übertreiben (s. Abb. 4), man den Kontrahenten angreifen, indem man z.B. Bilder von ihm mit Diktatoren zeigt (s. Abb. 5) usw. Diese ‚Taferln’ können die Politiker nach Belieben gestalten und kommunikativ verwenden – im Gegensatz z.B. zur Gestaltung des Studios, dessen „Raumordnung“ (Tänzler 2004, 170) von politischer Seite nur bedingt beeinflusst werden kann. Trotz der häufig geäußerten Behauptung, ‚Taferln’ seien bei Journalisten äußerst unbeliebt, zeigt die Analyse, dass zumindest die journalistische Bildregie bemüht ist, die politischen Kommunikate groß ins Bild zu hohlen und dem Publikum bestmöglich zu zeigen. Es zeigt sich aber auch, dass für österreichische Politiker scheinbar auch die Unterhaltsamkeit als Kommunikationsprinzip gilt, die sonst der Logik des Journalismus zugesprochen wird (Bucher 2007, 18).

Die Bedeutung der politischen Inszenierung war noch nie so groß wie heute. „Das kann eine Chance sein, um politische Themen anschaulicher zu vermitteln, muss sich aber immer der kritischen Prüfung stellen, ob unter der Oberfläche auch ein inhaltlicher Kern steckt.“ (Beyrl/Perlot 2006, 402) Insofern bleibt am Schluss zu diskutieren, ob solche Formen politischen Aktionismus als legitim einzuschätzen sind oder ob Requisiten wie ‚Taferln’, Plakate und Pappaufsteller nicht doch dazu führen, dass die Diskussion vollends zum Polit-Theater wird.

Literaturauswahl

Baumann, Meret (2013): Werner und Michael kreuzen die Klingen. In: Neuer Zürcher Zeitung, 25.10.2013. <http://www.nzz.ch/aktuell/international/auslandnachrichten/werner-und-michael-kreuzen-die-klingen-1.18156176>

Beyrl, Maria / Perlot, Flooh (2006): Politische Kommunikation in Österreich – Generalverdacht der Inszenierung? Ein Streifzug durch die österreichische Mediendemokratie. In: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 35(4), S. 391-405.

Bucher, Hans-Jürgen (2007): Logik der Politik – Logik der Medien. In: Habscheid, Stephan / Klemm, Michael (2007) (Hg.): Sprachhandeln und Medienstrukturen in der politischen Kommunikation. Tübingen: Niemeyer (Reihe Germanistische Linguistik), S. 13-43.

Höll, S. / Rossmann, R.: Angreifen mit kühlem Kopf. Steinbrück hat nichts mehr zu verlieren – das ist seine Chance. Die Regeln. In: Süddeutsche Zeitung, 31.08/1.11.2013, S. 2.

John, Gerald (2008): TV-Duelle mit Schweiß und Schminke. In: Der Standard, 19.8.2008 <http://derstandard.at/1219060063580>.

Klemm, Michael (2011): Bilder der Macht. Wie sich Spitzenpolitiker visuell inszenieren (lassen)–eine bildpragmatische Analyse. In: Diekmannshenke, Hajo / Klemm, Michael / Stöckl, Hartmut (2011) (Hg.): Bildlinguistik. Berlin: Erich Schmidt (Philologische Studien und Quellen, 228), S. 187-209.

Kolbert, Elizabetz (1992): The 1992 Campaign: The Media; Perot’s 30-Minute TV Ads Defy the Experts, Again. In: The New York Times, 27.10.1992. <http://www.nytimes.com/1992/10/27/nyregion/the-1992-campaign-the-media-perot-s-30-minute-tv-ads-defy-the-experts-again.html>

Marcus Maurer, Carsten Reinemann, Jürgen Maier, Michaela Maier: Schröder gegen Merkel. Wahrnehmung und Wirkung des TV-Duells 2005 im Ost-West-Vergleich. Wiesbaden 2006

Marcus Maurer, Carsten Reinemann: Schröder gegen Stoiber. Nutzung, Wahrnehmung und Wirkung der TV-Duelle. Wiesbaden 2003

Maurer, Marcus/Nagel, Friederike/Reinemann, Carsten (2012): Is there a visual dominance in political communication? How verbal, visual, and vocal communication shape viewers‘ impressions of political candidates. In: Journal of Communication 62, S. 833-850.

Ortner, Julia (2013): Sag‘s durchs Taferl. In: ORF Wahl-Blog, 10.9. <http://orf.at/wahl13//blog/2602933.html>.

Seils, Christoph (2013): Eine intellektuelle Zumutung mit Vorteil für Steinbrück. In: Der Tagesspiegel <http://www.tagesspiegel.de/meinung/andere-meinung/tv-duell-eine-intellektuelle-zumutung-mit-vorteil-fuer-steinbrueck/8728174.html>

Tänzler, Dirk (2004). Das Fernsehduell: Ein Dispositiv der Macht. In: Knieper, Thomas und Marion G. Müller (Hg.): Visuelle Wahlkampfkommunikation. Köln: Halem, S. 168-185.

Wallnöfer, Isabella (2013): Wer ins Schwitzen kommt, verliert. Kennedy ging in den Kühlwagen, Mock in die Sauna: Wie Politiker ihre Gegner (oder sich selbst) in TV-Duellen austricksen. In: Die Presse, 25.08.2013. <http://diepresse.com/home/kultur/medien/1444902/Wer-ins-Schwitzen-kommt-verliert>

Wolf, Armin (2013): Taferl-Runden: Armin Wolf über die Wahlkampf-Woche. In: Profil, 16.11.2013. <http://www.profil.at/articles/1338/576/366293/wahl-2013-taferl-runden-armin-wolf-wahlkampf-woche>

Wolfgang Donsbach: Zur politischen Bewertung einer medialen Inszenierung: Sechs Gründe gegen Fernsehduelle. In: Konrad Adenauer Stiftung (Hg.): Die politische Meinung. Nr. 396. November 2002. S. 19–25. <http://www.kas.de/wf/doc/kas_1043-544-1-30.pdf>


Hinterlasse einen Kommentar